Bündelausgleichung vs. 3D-Transformation (in einem Guss)

by Frank, Germany, (1762 days ago)

Hallo Micha,

seit längerem treibt mich eine Frage um.

Dazu zunächst zwei Definitionen, um sicher zu gehen dass wir vom gleichen reden.

a) Bündelausgleichung: Ausgleichung nach der Methode der kleinsten Quadrate von Beobachtungselementen (hier konkret: zwei in zueinander senkrechten Ebenen liegende Winkel und eine Raumstrecke) in einem 3D Netzwerk einer Anzahl Standpunkten und Zielpunkten. Die Standpunkte sind dabei nicht horizontiert. Die Unbekannten sind die Koordinaten der Punkte und die Transformationsparameter in ein übergeordnetes System.

b) BestFit 3D-Transformation (in einem Guss): Es liegen von einer Anzahl Punkten xyz Koordinaten in lokalen Koordinatensystemen vor (z. B. aus den unter b) erwähnten Beobachtungselementen). Von allen Punkten sind die lokalen Koordinaten in mehreren Systemen bekannt. Die Beobachtungselemente sind die lokalen Koordinaten, die Unbekannten die Koordinaten der Punkte im Übergeordnetem System und die Transformationsparameter der lokalen Systeme in ein übergeordnetes System (also genau so wie bei a)).

Die Problematik zu a) und b) entsteht z.b. wenn mit einem Lasertracker von mehreren Standpunkte mehrere Punkte gemessen werden und man dann alle Punktkoordinaten in einem Sytem berechnen will.

Jetzt die Frage: Kann man auf beiden Berechnungswegen die gleichen Endergebnisse erzielen, wenn man die Gewichtung (bzw. die Genauigkeit der Beobachtungselemente, bei a) also 2xWinkel und 1xStrecke und bei b) die drei Koordinaten) entsprechend anpasst? Wie müsste man dazu vorgehen?

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Bündelausgleichung vs. 3D-Transformation (in einem Guss)

by Micha ⌂, Bad Vilbel, (1761 days ago) @ Frank

Hallo Frank,

wir haben zwei Softwarepakete entwickelt in diesem Bereich. Neben JAG3D ist dies UNƖTƐD. Während JAG3D den Ansatz über die originären Beobachtungen verfolgt, nutzt UNƖTƐD den von Dir genannten Transformationsansatz. Eine ausführliche Beschreibung des mathematischen Modells findet sich im Artikel Konzept zur Realisierung eines Prototypen zur sachgerechten Auswertung von polaren Beobachtungen (avn 7/2012).

In einem Projekt wurden wir mit einer ähnlich gelagerten Fragestellung konfrontiert. Hierbei ging es weniger um die Frage der "Gleichheit" zwischen beiden Ansätzen sondern mehr um die Unterschiede in der Analysestrategie. In diesem Zusammenhang haben wir auch eine Vergleichsrechnung durchgeführt mit einem syntetischen Testnetz, welches die Kollegen vom Teilchenbeschleuniger DESY bereitgestellt hatten. In diesem Vergleich haben wir Koordinatendifferenzen von ≪1E-3 µm(!) festgestellt, siehe hierzu bitte die ausführliche Übersicht auf Folie 7. Das haben wir als praktisch gleichwertig eingestuft und nicht weiter untersucht, ob man mit weiteren Iterationen oder einem noch kleineren Grenzwert numerische Identität erreichen kann. Ich denke für Deine Fragestellung ist dies hinreichend.

Jetzt die Frage: Kann man auf beiden Berechnungswegen die gleichen Endergebnisse erzielen, wenn man die Gewichtung (bzw. die Genauigkeit der Beobachtungselemente, bei a) also 2xWinkel und 1xStrecke und bei b) die drei Koordinaten) entsprechend anpasst? Wie müsste man dazu vorgehen?

Man kann, wie oben beschrieben, mit beiden Ansatz mindestens praktisch gleichwertige Ergebnisse erzielen, ja. Hierzu müsste man die Unsicherheiten der originären polaren Messwerte bei der Umformung in (lokale) kartesische Koordinaten streng transformieren. Hierbei ist zu beachten, dass ggf. auftretende algebraische Abhängigkeiten (Korrelationen) zwischen den Koordinatenkomponenten der kartesischen Koordinaten mitzuführen sind. Letzteres führt bei der Analyse häufig zu Problemen, auch dann, wenn diese algebraischen Abhängigkeiten nicht vernachlässigt wurden.

Wenn bspw. im Ansatz mit originären Beobachtungen bspw. die Strecke fehlerhaft ist, dann kann diese von der weiteren Berechnung ausgeschlossen werden. Im Ansatz mit kartesischen Koordinaten ist die Strecke in allen drei Komponenten enthalten. Hier würde eine fehlerhafte Strecke zu einer Verwerfung des gesamten Punktes führen, wodurch implizit zwei unauffällige Messungen (die beiden Winkel) mit deaktiviert werden, siehe Folie 10. Mit dem Vorliegen von größeren Messabweichungen driften somit beide Lösung schnell auseinander.

Weitere Unterschiede können sich ergeben, wenn die Lagerung des Netzes nicht gleichwertig ist. Kann eine Software nur einen hierarchischen Anschluss an ein Punktfeld, dann lässt sich dies nicht mit den Ergebnissen einer freien Ausgleichung vergleichen (unabhängig davon, mit welchem Ansatz die Ausgleichung erfolgte).

Ich hoffe, dass hilft Dir weiter.

Viele Grüße
Micha

--
applied-geodesy.org - OpenSource Least-Squares Adjustment Software for Geodetic Sciences

Tags:
JAG3D, Netzausgleichung, Lasertracker, Bündelausgleichung, Transformation, UNƖTƐD, Vergleich

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Bündelausgleichung vs. 3D-Transformation (in einem Guss)

by Frank, (1761 days ago) @ Micha

Tiptop Micha, danke für die Querverweise, ich werde mir das mal durchlesen! Gruß Frank

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Bündelausgleichung vs. 3D-Transformation (in einem Guss)

by Frank, (1761 days ago) @ Frank

Hallo Micha,

ist das Lizenzmodell bei UNƖTƐD ähnlich wie bei JAG3D, oder ist es als proprietäre Software verfügbar? Wo wäre die Software verfügbar?

Gruß Frank

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Bündelausgleichung vs. 3D-Transformation (in einem Guss)

by Micha ⌂, Bad Vilbel, (1761 days ago) @ Frank

Hallo Frank,

ist das Lizenzmodell bei UNƖTƐD ähnlich wie bei JAG3D [...]?

Wir haben es unter der GNU-GPL entwickelt, sodass es grundsätzlich OpenSource ist. Diese Lizenz zwingt uns aber nicht, es verfügbar zu machen. Daher ein Aber: Wir bieten UNƖTƐD nicht zum freien Download an, wodurch es nicht wie bspw. JAG3D einfach heruntergeladen und ausprobiert werden kann. Das ist auch nicht geplant. Zusätzlich enthält UNƖTƐD Bibliotheken von Leica/Hexagon und API zur Ansteuerung von Lasertrackern. Diese sind nicht OpenSource, wodurch die Herausgabe eine Endversion nicht so einfach wird.

Wo wäre die Software verfügbar?

Es gibt eine Vorversion von UNƖTƐD, die jedoch weniger kann - aber immerhin die für Dich relevante Netzausgleichung. Diese existiert noch auf sf.net. Das letzte Update ist aber von 2016 und eine Weiterentwicklung habe ich im Moment aus Zeitgründen nicht vor.

Gegenwärtig konzentrieren wir uns eher auf JAG3D und werten damit auch unsere Messungen bzw. Projekte aus, die wir mit unseren Lasertrackern messtechnisch erfasst haben. Die Vorteile in der Analyse sind aus unserer Sicht einfach unschlagbar. Weiterhin ist die Rechengeschwindigkeit deutlich höher, da im stochastischen Modell keine vollbesetzten Matrizen zu berücksichtigen sind.

Die Entwicklung von Logi bzw. UNƖTƐD war motiviert worden, da ein kommerzielles Produkt andere Ergebnisse lieferte als andere Ausgleichungsapplikationen. Der Hersteller hat darauf verwiesen, dass es ein anderes mathematisches Modell sei und hierdurch die Unterschiede zu erklären sind. Die genannten Applikationen wurden daher nur mit dem Ziel erstellt, diese These zu verifizieren.

Viele Grüße
Micha

--
applied-geodesy.org - OpenSource Least-Squares Adjustment Software for Geodetic Sciences

Tags:
JAG3D, Netzausgleichung, Lasertracker, Bündelausgleichung, Transformation, UNƖTƐD, Vergleich, Lizenz

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Bündelausgleichung vs. 3D-Transformation (in einem Guss)

by Frank, (1760 days ago) @ Micha

Hallo Micha,

vielen Dank nochmal für die sehr gute Rückmeldung von dir und die Informationen. Ich habe mir alles durchgelesen und (wie es oft ist, wenn man sich mit einem Thema intensiver beschäftigt) jetzt kommt mir die Eingangs gestellte Frage schon fast naiv vor.

Allerdings habe ich schon wieder die nächste Frage. Ich habe ein kleines Testnetz in Jag3D erfolgreich gerechnet, aber mir ist noch nicht klar, wie ich eine "Lotabweichung" für einen Standpunkt zulassen kann; also einen nicht horizontieren Standpunkt in einem Netz berücksichtigen kann. Kannst du mir einen Tip geben?

Gruß Frank

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Bündelausgleichung vs. 3D-Transformation (in einem Guss)

by Micha ⌂, Bad Vilbel, (1760 days ago) @ Frank

Hallo Frank,

Allerdings habe ich schon wieder die nächste Frage. Ich habe ein kleines Testnetz in Jag3D erfolgreich gerechnet, aber mir ist noch nicht klar, wie ich eine "Lotabweichung" für einen Standpunkt zulassen kann; also einen nicht horizontieren Standpunkt in einem Netz berücksichtigen kann. Kannst du mir einen Tip geben?

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Die Einstellung findet sich unter Eigenschaften der jeweiligen Raumpunktgruppe. Du müsstest alle Punkte, für die eine solche Abweichung schätzbar ist, in einer Punktgruppe zusammenfassen. Im Screenshot ist das die Gruppe Stations (Lasertracker), welche ausschließlich die Instrumentenstandpunkte enthält. Für andere Punkte (wie bspw. Driftnester) lassen sich keine Lotabweichungen schätzen, weshalb dort die Option nicht gesetzt werden darf! (Punkte kannst Du mit Drag & Drop aus der Tabelle in eine andere Gruppen verschieben.)

[image]
Die Ergebnisse der Schätzung findest Du anschließend für die betreffende Punktgruppe unter dem Reiter Lotabweichungen, siehe Screenshot. Bitte beachte, dass JAG3D davon ausgeht, dass die Lotabweichungen kleine Winkel - um 0 gon - sind. Solltest Du Euer Instrument nicht näherungsweise horizontal verwendet haben, müsstest Du ggf. noch geeignete Näherungswerte für die beiden Drehwinkel bereitstellen. Wenn die Abweichungen näherungsweise parallel zur Z-Achse verlaufen, hatte ich bisher noch keine Probleme und die 0 gon waren hinreichend genau als Näherungswert.

Viele Grüße
Micha

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Tags:
JAG3D, Lasertracker, Bündelausgleichung, Lotabweichung, Stehachschiefe

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