Korrelationen im stochastischen Modell und deren Wirkung

by Micha ⌂, Bad Vilbel, Sunday, May 01, 2022, 01:51 (935 days ago) @ gf

Hallo Gerhard,

wenn ich das richtig verstehe, läuft es offenbar darauf hinaus, ob die Messunsicherheiten als korreliert oder unkorreliert betrachet werden.

Ja, dass ist korrekt. Reine Wiederholungsmessungen (bspw. bei Satzmessungen) sind i.A. hochkorreliert und können u.U. eine gewisse Genauigkeit vortäuschen, die nicht der Messunsicherheit gleichzusetzen ist (siehe das unten stehende Beispiel). Gerade im Kontext des Laserscannings ist dies immer wieder problematisch, da hier extrem viele Messungen innerhalb kürzester Zeit durchgeführt werden, sodass alle Messungen unter praktisch unveränderten Rahmenbedingungen gemessen wurden. Dies führt häufig zu einer extremen Verzerrung der abgeleiteten Varianz.

Wie geht man in jag3d generell mit korrelierten Messunsicherheiten um?
Kann man diese in den Eingabedaten beschreiben?

In der klassischen Netzausgleichung werden vor allem diskrete Punkte gemessen, wodurch das Problem nicht so vordergründig ist, wie beim gerade genannten Laserscanning. Die Messfrequenz ist, gerade bei manuellen Messungen, deutlich geringer, sodass zwischen den einzelnen Messungen deutlich mehr Zeit vergeht und somit die Rahmenbedingungen stärker variieren. Die Abhängigkeiten reduzieren sich somit, siehe bspw. Kuhlmann (2003), Tabelle 3. Weiterhin führen auch Mittelwertbildungen i.A. zu einer gewissen Dekorrelierung, sodass diese bei wiederholten Satzmessungen zu empfehlen ist.

Das Hinzufügen von unabhängigen Daten führt ebenfalls zu einer Änderung der Korrelationen zwischen den Schätzwerten. Der nachfolgenden Screenshot zeigt eine Datenauswertung mit Messungen von mehreren Tagen (links) und exemplarisch mal nur die Auswertung von einem Tag (rechts). Geplottet ist der Korrelationskoeffizient $\rho$. Wenn man nur die Daten von einem Tag auswertet, dann kann kann in diesem Beispiel Korrelationen von ca. 30 % erkennen. Fügt man die Daten der anderen Tage noch hinzu, so reduzieren sich die Abhängigkeiten auf < 10 %, und haben dann praktisch keinen Einfluss mehr aufs Ergebnis. Eine detaillierte Analyse der gezeigten Daten findest Du in unserer Arbeit Close Range Photogrammetry for High-Precision Reference Point Determination.

Das stochastische Modell in JAG3D sieht keine stochastischen Abhängigkeiten zwischen den Messungen vor. Es wird demnach unterstellt, dass die Messungen weitgehend unabhängig voneinander sind. Es ist jedoch durchaus möglich, Korrelationen zu erzeugen, indem man bspw. in einer Streckengruppe eine gemeinsame Nullpunktabweichung schätzt. In diesem Fall sind alle Strecken über den funktionalen Zusammenhang voneinander abhängig.

[image]

Die Unsicherheit einer Messung mit einem Maßband setzt sich ja z.B. aus Herstellungstoleranz und individueller Unsicherheit pro Messung zusammen. Wenn ich alle Strecken mit dem selben Maßband messe, dann ist der Unsicherheitsanteil aus der Herstellung ja bei allen Streckenmessungen zu 100% korreliert (nicht nur für Wiederholungsmessungen der selben Strecke).

Du vermischt hier meiner Meinung nach zwei Arten von Abweichungen miteinander: systematische und zufällige. Systematische Abweichungen wirken gerichtet bzw. einseitig. Diese Abweichungen treten immer mit dem selben Vorzeichen und Betrag auf und wirken somit auf jede Messung - nicht nur bei Wiederholungsmessungen. Zufällige Abweichungen sind hingegen nicht prädizierbar und variieren (zufällig) bei jeder Messung. Im stochastischen Modell werden ausschließlich zufällige Abweichungen spezifiziert. Systematische Abweichungen oder grobe Fehler werden hingegen nicht berücksichtigt.

Beispielsweise würde die Unsicherheit einer Summe von N Einzelstrecken zu klein geschätzt, wenn man die die Korrelation ignoriert.

Das ist leider eine verbreitete Meinung, die aber falsch ist, wie sich leicht zeigen lässt. Nehmen wir an, wir hätten die beiden Strecken $s_1 = 2\,\mathrm{m}$ und $s_2 = 3\,\mathrm{m}$, und suchen die Gesamtstrecke $d = s_1 + s_2$ und deren Unsicherheit. Es ist ein lineares Gleichungssystem, sodass wir schreiben können:

$d = \mathbf{F} \cdot \mathbf{s} = \left(\begin{matrix} 1 & 1 \end{matrix}\right)\left(\begin{matrix} s_1 \\ s_2 \end{matrix}\right) = 5\,\mathrm{m}$

Mittels Varianz-Kovarianz-Fortpflanzung lässt sich für die Gesamtstrecke der resultierende Unsicherheit abschätzen. Gehen wir zunächst davon aus, dass die beiden Teilstrecken gleichgenau aber unabhängig sind und der Normalverteilung folgen. Dann ist das stochastische Modell eine Einheitsmatrix, die noch mit einem Vorfaktor skaliert wäre, welchen wir hier o.B.d.A. aber vernachlässigen können. Die Kofaktormatrix sei

$\mathbf{Q} = \left(\begin{matrix} 1 & 0 \\ 0 & 1 \end{matrix}\right)$

und es folgt

$q^2_d = \mathbf{FQF^{\mathrm{T}}} = 2$

Unterstellen wir nun eine extrem hohe Korrelation von 90 % zwischen den Strecken, d.h.,

$\mathbf{Q} = \left(\begin{matrix} 1 & 0.9 \\ 0.9 & 1 \end{matrix}\right)$

so ergibt sich ein wesentlich größerer Wert von

$q^2_d = \mathbf{FQF^{\mathrm{T}}} = 3.8$

Sind die Strecken hingegen negativ korreliert, d.h.,

$\mathbf{Q} = \left(\begin{matrix} 1 & -0.9 \\ -0.9 & 1 \end{matrix}\right)$

so ergibt sich ein deutlich kleiner Wert von

$q^2_d = \mathbf{FQF^{\mathrm{T}}} = 0.2$

Die Vernachlässigung von Korrelationen zwischen den Messungen führt nicht zwangsläufig zu einer zu optimistischen Abschätzung der Unsicherheit des Zielparameters.

Viele Grüße
Micha

--
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Tags:
stochastisches Modell, Unsicherheit, Varianz, Mittelwertbildung, Korrelation, zufällige Abweichung, systematische Abweichung

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